Am Vorabend des 1,5wöchigen Ausflugs -
der Wortbestandteil "flug" ist wörtlich gemeint - eine einzige P(l)ackerei. Wenn man kostenfrei höchstens 20 kg Gepäck
aufgeben darf, packt man nämlich in Erwägung aller Eventualitäten,
auch der sehr, sehr unwahrscheinlichen, bis zum Erreichen dieses
Maximalgewichts mehr in den Koffer als ohne eine solche Beschränkung.
Am nächsten Morgen ein
letztes Mal die Frage: An alles gedacht? Ja. - Nein, doch
nicht. Mütze, Schal, Handschuhe! Dann geht es los zum Flughafen und
von dort nach Windy City.
Wolken von oben, Wattebergen gleich.
Nach einem Film und einigen Runden Sudoku unter dem Flieger Island.
Zu sehen allerdings nach wie vor nichts als Wolken. Außerdem meldet
der Bordcomputer: -51°C Außentemperatur - gut, dass die Fenster
geschlossen sind - und 750 km/h bei einer Flughöhe von 12 km.
Irgendwann später weit unten Grönland. Dann wieder Atlantik.
Anschließend Kanada. Schlussendlich nach 9,5 Stunden Economy Class
Landung in Chicago.
Auschecken. U.a. von jedem die Abdrücke
aller Finger. Die spinnen, die Amerikaner!
Erst Industriegebiet, dann zwei- bis
dreigeschossige Häuser. Man soll sich nicht zu viel auf einmal
zumuten; die Wolkenkratzer haben zu warten.
Es ist auf kleinen bis kleinsten
Grundflächen sehr eng aneinander gebaut. Schmale bis schmalste
Durchgänge zu den Hinterhöfen, einige nicht breiter als zwei Meter,
gefühlt weniger, durch die der vom Michigansee kommende Wind
pfeift. Zwischen, hinter und in den Häusern Improvisation und
Behelfsmäßigkeit. Weltmacht Amerika! Über Straßen und Höfen hängende Elektrokabel verschwinden schlicht durch ins Gemäuer gebohrte Löcher
im Inneren der Häuser. Man kennt das von Bildern und aus Filmen,
aber live ist eindrucksvoller. Kein guter Eindruck. Defekte Kabel -
und derer gibt es unzählige - werden nicht entfernt, sondern neue neben ihnen befestigt, und zwar an überwiegend beängstigend schief
stehenden Masten.
Hie und da die eine oder andere hübsche
Fassade, doch leider nur die. Überall diese eisernen Feuerleitern
bzw. Treppen an den Außenwänden, sehr selten auch hölzerne. Wegen der vorgeschriebenen Notausgänge von und zu
allen Wohnungen. Dahinter bröckelnder Putz, undichte Fenster,
klapprige Türen. Und das in Windy City! Aber die Klimaanlagen
rauschen, Strom ist billig und Umweltbewusstsein scheinbar nicht
existent.
Michigansee. Mit dem Rücken zur Stadt
über die Wellen schauen, Algen riechen, Muscheln sammeln. Erholung?
Keine Spur! Nur wenige Meter hinter einem tost der Verkehr über den
Highway.
Apropos Highway. Diese Autos hier! Jeeps statt PKWs und Trucks statt Lieferwagen. Als müssten alle nonstop die Route 66 bewältigen können! Die gelben Schulbusse allerdings ähneln Museumsstücken.
Übrigens müssen hiesige Autofahrer Versorgungsfahrzeugen, die es mit eingeschalteter Sirene eilig haben, nicht ausweichen, sie dürfen. Eine Vorschrift, rücksichtsvoll Platz zu machen, wäre unvereinbar mit dem, was man in Amerika unter individueller Freiheit versteht. Warten indes muss, wer beispielsweise den Chicago-River überqueren will, wenn die Brücken hochgezogen sind, um Segelyachten passieren zu lassen. Den Reichen ist auszuweichen. Fataler Begriff von Freiheit in Kombination mit Größenwahn und wenig am Gemeinwohl ausgerichteten Prioritäten.
Man stehe am Strand und drehe sich Richtung Downtown: Blick auf
die Skyline vom Bankenviertel. Wow! Aus der Ferne
beeindruckt Amerikas Imponiergehabe.
Auch beim späteren Blick aus
dem Fenster des Cafés im 95. Stock des 100stöckigen Hancock noch. Es ist
irgendwie unheimlich schön, allerdings auch ganz schön unheimlich.
Die Wolkenkratzer sind Säulen eines Diagramms, das Macht und Einfluss veranschaulichen soll. Einschüchternd.
Die Wolkenkratzer sind Säulen eines Diagramms, das Macht und Einfluss veranschaulichen soll. Einschüchternd.
Erfreulich jedoch: Es gibt in diesem
Land, das jedem den Besitz von Schusswaffen erlaubt, einige Orte, z.B. U-Bahnhöfe, an
die Pistolen nicht mitgeführt werden dürfen. (Achtung, Ironie!)
Piktogramme weisen darauf hin.
The Loop. In der Downtown treffen die
U-Bahnen der überirdisch verlaufenden Linien aufeinander und fahren
über ungesicherte Kurven eine Schleife auf Schienen, die wie überall
in Chicago ohne jegliche Schalldämmung auf rostige Stahlträger
geschraubt sind. Abenteuerlich gefährlich und an Krach nicht zu
überbieten. Metaphorisch betrachtet muss wohl der Glaubwürdigkeit
halber, wer am höchsten baut, auch am risikofreudigsten und
lautesten sein. Allerdings hätte eine derart scheppernde U-Bahn
andernorts, beispielsweise in Deutschland, eine Flut von
Mietminderungsklagen zur Folge. In Amerika ist das Gegenteil der
Fall; nearby the Loop im Bankenviertel ist das Leben am teuersten.
Deutlich westlich des Bankenviertels hinter unattraktivem Wohn- und Industriegebiet Oak Park. Geburtshaus von Hemmingway. Museumshäuser von Frank Lloyd Wright. Flache Wohnäuser auf großen Grundstücken. Licht und Platz zum Atmen. Na bitte, geht doch! Allerdings wohnen hier keine Mittel- oder gar Unterschichtler.
Deutlich nördlich des Bankenviertels
der Broadway, eine Straße, die durch Uptown führt, wegen der
dortigen kulturellen Vielfalt auch scherzhaft Vereinte Nationen
genannt. Hier gibt es keine Wolkenkratzer und niemand sich Mühe,
einen vornehmen Eindruck zu hinterlassen. Bars, Clubs, Discounter.
Deutlich südlich des Bankenviertels Chinatown. Ein Mix aus chicago-typischen Zwei- bis Dreigeschossern und chinesischer Architektur, amerikanischem Englisch und verschiedenen Sprachen Chinas, Mc Donalds und Reis- bzw. Glasnudel-Spezialitäten. Beeindruckend, aber nicht überzeugend.
Schade. Sehr, sehr schade, dass mein Bruder mit Frau und Kindern in Chicago zu leben beschlossen hat.
Rückflug vom O’Hare International Airport. Einchecken und Sicherheitskontrolle: U.a.
Gürtel aus der Hose und Schuhe von den Füßen ziehen, Hosentaschen
leeren. Trotzdem blinkt der Scanner, denn chirurgische Implantate lassen
sich nicht auf das Transportband legen. Die spinnen, die Amerikaner?
Nein, diese Formulierung wäre ein Euphemismus.
Zu guter Letzt scheitert der Versuch, auf diesem zweitgrößten Flughafen der USA eine deutsche überregionale Zeitung zu kaufen. Es gibt Geldautomaten und Geldwechselschalter, ein Postamt und W-LAN-Hotspots, Restaurants und Cafés, ein Fundbüro, ein medizinisches Zentrum sowie einen Gebetsraum, natürlich unter unzähligen Geschäften auch Buchläden mit Zeitungen und Zeitschriften im Sortiment, aber ausschließlich englischen. Nicht nur nichts Deutsches, auch kein Spanisch, Französisch, Russisch... Amerikanische Weltoffenheit?
Zu guter Letzt scheitert der Versuch, auf diesem zweitgrößten Flughafen der USA eine deutsche überregionale Zeitung zu kaufen. Es gibt Geldautomaten und Geldwechselschalter, ein Postamt und W-LAN-Hotspots, Restaurants und Cafés, ein Fundbüro, ein medizinisches Zentrum sowie einen Gebetsraum, natürlich unter unzähligen Geschäften auch Buchläden mit Zeitungen und Zeitschriften im Sortiment, aber ausschließlich englischen. Nicht nur nichts Deutsches, auch kein Spanisch, Französisch, Russisch... Amerikanische Weltoffenheit?
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