Es
regnet. Eigentlich pladdert es, aber ich nenne das vom Himmel
fallende Wasser euphemistisch Regen. Kurzzeitig erwäge ich, in der
Unterkunft zu bleiben, fahre dann aber doch los. Durch die ersten
Dörfer muss ich mich ziemlich quälen, gelange allerdings später in einen derart dichten Wald, dass die Blätter über mir ein Dach
bilden, durch das es zwar tropft, aber nicht schüttet. Ich komme
vorwärts, wenngleich nur mühsam, denn der Boden ist trotz
Überdachung schlammig. Außerdem birgt der Name der Stadt, zu der
ich unterwegs bin, nicht grundlos das Wort "Góra = Berg"
in sich, es geht bergauf nach ehemals Grünberg. Auf etwa halber
Strecke liegt Trzebule, das ich in ziemlich erschöpftem Zustand
erreiche, was jedoch nicht schlimm ist, da es aufhört zu regnen und
ich eine Rast einlegen kann.
Im
Vergleich zu den drei zurückliegenden Tagen hält die Regenpause erstaunlich lange an: fast eine ganze Stunde. Ich setze die Fahrt fort, noch
bevor es erneut regnet. Unter mir Pfützen über Pfützen, aber
wenigstens von oben kein Wasser und somit nach vorne gute Sicht:
keine nassen und beschlagenen Brillengläser. In Drzonów traue ich dennoch meinen Augen nicht. Kaum fahre ich aus dem Wald und
auf das Dorf zu, finde ich mich unvorbereitet einem Waffenarsenal
gegenüber wieder! Das kann nicht sein! Doch, es ist. Drzonów
beherbergt ein gigantisches Freiluft-Kriegsmuseum. Zwar weiß ich
theoretisch, dass es auf der Erde nicht nur Kriege, sondern auch
Kriegsmuseen gibt, aber praktisch bin ich im Moment nicht darauf
vorbereitet.
Ich
brauche noch einmal Pause auf diesen Schreck. Dann mahnt Regen zur Weiterfahrt und ich kämpfe mich bergauf
nach Zielona Góra. Dort gilt mein Interesse zunächst den Ampeln: An denen für Auto- bzw. Fahrradfahrer hängen Tafeln, die rückwärts zählend die Sekunden bis zum nächsten Farbwechsel anzeigen. Die Fußgängerampeln beginnen zu blinken, kurz bevor sie zum anderen
Farbsignal wechseln. Trotz dieser lustigen Blinkerei lasse ich die beampelten Neubaugebiete recht schnell hinter mir. Nahe der Altstadt verspüre ich das Bedürfnis nach Wärme, setze mich in ein Café, das gemütlich wirkt, und bestelle
eine gorąca
czekolada. Heiße Schokolade wärmt mich,
die Heizung mich und meine Jacke, während draußen vorm Fenster
der Regen in Hagel übergeht. Ein Blick zum Himmel verschafft mir die
Gewissheit, das Wetter wird heute kein anderes mehr, und da in meiner
Landkarte eine Bahnstrecke von Zielona Góra nach Krosno
eingezeichnet ist, beschließe ich, zurück über Krosno und bis dort
mit dem Zug zu fahren. Ich schiebe also mein Fahrrad durch die
Fußgängerzone der Altstadt, versuche, mir deren Atmosphäre bei
sonnigem Wetter vorzustellen, folge der Ausschilderung zum Bahnhof
und erfahre dort, dass die Bahnverbindung nach Gubin über Krosno in
Planung ist. Nach Krosno fahren Busse, die jedoch keine Fahrräder
transportieren. Okay. Wenigstens hat sich der Hagel inzwischen wieder in Regen
verwandelt! Es beginnt, dunkel zu werden.
Ich steige auf mein Fahrrad
und treffe die Entscheidung, auf der Straße zu fahren. Die Straßen sind beleuchtet und
ausgeschildert, das ist von Vorteil. Radwege gibt es außerhalb von
Städten nicht und Radfahrer werden auf den Straßen von polnischen
Autofahrern nach einem ungeschriebenen Gesetz wie Luft behandelt, das
ist von Nachteil. Wann immer es hinter mir hupt, habe ich mich in den
Straßengraben zu begeben. Ich weiß nicht, was geschähe, wiche ich
nicht aus, will es aber nicht probieren. Ab Dabie sind es keine
Fernstraßen mehr, die ich zu fahren habe, und auf den Dorfstraßen bewegen die wenigen Fahrer, die zur abendlichen Fernsehzeit noch
unterwegs sind, ihre Fahrzeuge langsam, weil die Qualität der Straßen kein hohes Tempo
zulässt.
Fast beginnt die Angst, von mir abzufallen, als eine dunkle
männliche Gestalt auf einem unbeleuchteten Fahrrad aus einem
Seitenweg kommt, polnisch auf mich einredet und nicht von meiner
Seite weicht. Was will der? Handy? Geld? Sex? Sowohl als auch als
auch? Ich erkläre ihm auf englisch und deutsch, dass ich ihn nicht
verstehe. Russisch verbiete ich mir in Polen und mehr Sprachen habe
ich nicht anzubieten. Er radelt neben mir her und redet und redet und
redet, bis er im nächsten Dorf genauso plötzlich in einem Seitenweg
verschwindet, wie er im vorigen aus einem aufgetaucht ist. Wollte der lediglich nicht im Dunkeln fahren und hat sich an mich geheftet, weil ich Lampen am Fahrrad habe? Ich weiß es nicht, bin
jetzt doppelt nass, einerseits vom Regen, vom Angstschweiß
andererseits, will nur noch in die Unterkunft und hinter mir die Tür
abschließen! Mein Wille geschehe! Er geschieht.
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