Auf nichts Unumstößliches stoßen Leserinnen und Leser in diesem Blog. Alles ist Überlegung, nichts Überlegenheit. Standpunkte sind springende Punkte und Punktlandungen selten.
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Donnerstag, 14. November 2019

Manchmal helfen nur noch Bohnen

Arbeitsunfall.

Kleinfingermehrfragmentfraktur mit Gelenkbeteiligung und Sehnenausriss.

Der Operateur sagte nach einem Blick auf das Röntgenbild, da haben Sie sich aber eine ungewöhnliche Verletzung zugezogen.

Ja, dachte ich, in meinem Leben verläuft selten irgendetwas gewöhnlich, und nickte lediglich.

Die Knochensplitter wurden operativ in ihre gewünschten Positionen gebracht, auf Drähte gezogen und dadurch stabilisiert.

Anschließend sechs Wochen lang diese Drähte im kleinen Finger und dessen Ruhigstellung mittels Gipsschiene und Schlauchverband.

Dann Röntgen. Zu sehen ein nicht sehr kleines Knochenstück unterhalb des vorderen Gelenkspaltes, wo es nicht hingehört.

Der niedergelassene Chirurg sagte nach einem Blick auf das Röntgenbild, zum Ziehen der Drähte überweise ich Sie zurück an das Krankenhaus, in dem operiert wurde. Ich will nicht, dass es später heißt, ich sei schuld an dem Schlamassel.

Ja, dachte ich, Chirurgen stehen immer mit einem Bein im Gefängnis, und nickte lediglich.

Im Krankenhaus zog ein Kollege des Operateurs die Drähte aus meinem Finger und sagte dann, probieren Sie mal so im Alltag, wie weit Sie den Finger wieder bewegen können. Sollte das gar nicht klappen, können wir in drei Wochen mit Physiotherapie beginnen.

Aha, dachte ich, ich soll also einen Finger, der sechs Wochen lang innen von Drähten durchzogen und außen mit Gips umwickelt war und dessen vorderes Gelenk nun blockiert ist, mal eben wieder bewegen, rät mir ein Arzt, dem seine Patient*innen egal sind, und nickte lediglich.

Der niedergelassene Chirurg sagte am nächsten Tag, ich verordne Ihnen Ergotherapie. Brauchen Sie Schmerzmittel?

Ja, dachte und sagte ich und nickte nicht lediglich.

Drei weitere Wochen später ärztliche Untersuchung mit erneuter Röntgenkontrolle.

Der niedergelassene Chirurg sagte nach einem Blick auf das Röntgenbild, schön sieht anders aus.

Ja, dachte ich, ist ja auch nicht für die Kunstausstellung, sondern vom wirklichen Leben gezeichnet, und nickte lediglich.

Überweisung an einen Handspezialisten zwecks Einholens einer Zweitmeinung, denn der Finger ist noch geschwollen und schmerzt, wenngleich er zwischen dem ersten und zweiten Fingerglied wieder etwas bewegt werden kann, nur zwischen dem zweiten und dritten, wo unter dem Gelenkspalt das fehlplatzierte Knochenstück liegt, leider nicht.

Der Handspezialist sagt nach einem Blick auf meine gesammelten Röntgenbilder, das ist gründlich schief gegangen. Im vorderen Gelenk werden Sie den Finger nicht mehr bewegen können. Versuchen Sie, mit Hilfe der Ergotherapie die Schwellung aus dem Finger raus und mehr Beweglichkeit in das unversehrte Gelenk rein zu kriegen, sollten die Schmerzen nicht aufhören, versteifen wir das versehrte künstlich und entfernen das darunter liegende abtrünnige Teil.

Ja, denke ich, endlich spricht einer unverblümt ehrlich, und das beruhigt mich fast mehr, als die Aussicht auf eine weitere Operation mit anschließend nochmaliger wochenlanger Ruhigstellung des Fingers ins Gegenteil verkehren kann, und nicke.

Der Handspezialist fragt noch nach privater Unfallversicherung.

Ich schüttele den Kopf.

Dann, so sagt er, sieht es hinsichtlich Schmerzensgeld wegen des Behandlungsfehlers schlecht aus. Die Berufsgenossenschaft zahlt nicht.

Das Thema Geld schmälert die Freude an des Spezialisten Ehrlichkeit, aber Recht hat er: Wir leben schließlich im Kapitalismus. Die Behandlung ist das Mittel zum Zweck, der Zweck selbst hauptsächlich Geld.

Manchmal helfen nur noch Bohnen, je nach Tageszeit und -form diese oder jene, also von der Kaffeepflanze oder dem Kakaobaum, denn Bohnen sind Gemüse und gesund für Mensch und Tier.

2 Kommentare:

  1. Liebe Miriam, es hat auch einen Vorteil, keine Versicherung zu haben. Du müsstest Dich mit ihr in einen jahrelangen und ziemlich aussichtslosen Kampf begeben, ob nicht vielleicht doch Du selbst schuld bist am Knochenteil, der nicht dort ist, wo er hingehört. Was hast Du getan? Falsch bewegt? Zu früh bewegt? Bei der OP gezuckt? Diese zeitraubende Auseinandersetzung bleibt Dir erspart. Ich lasse auch die Frist verstreichen und lege nicht Widerspruch gegen einen Rentenbescheid ein, der mir bescheinigt, dass ich aufgrund einer in der DDR abgeschlossenen Zusatzversicherung 1 Cent weniger monatlich Rente bekomme. Immerhin hat mich die Antragstellung jahrelang beschäftigt. Näheres schreibe ich dann auch mal auf. 😊.

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  2. Das Gefühl von Verbitterung wird nicht ausgelöst durch die Information, dass es kein Schmerzensgeld gibt, sondern dadurch, dass Geld im Zusammenhang mit einer schmerzhaften und beeinträchtigenden Verletzung überhaupt erwähnt wird. Du gehst zum Arzt, weil es Dir ohnehin nicht gut geht, sonst gingst Du wohl kaum, und wirst verhöhnt.

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