Aufbruch. Ein letztes Mal schaue ich
mich um, ob von dem, was mit soll, nichts mehr herumliegt. Dem ist so
und ich stelle fest: Ich habe Lust wiederzukommen. Es ist ganz sicher
keine Wohnung, in der es auch nur annähernd aussieht wie in
deutschen Wohnungen üblich, sondern meine.
Alexanderplatz. Bis Frankfurt/ Oder
will ich mit dem Zug fahren. Ich schiebe mein Fahrrad in die
Schalterhalle. Wenn ich das Ticket am Schalter kaufe, muss ich zwar
Servicepauschale entrichten, aber nicht mit einem Automaten kämpfen,
der mich nicht versteht. Geht schneller, dachte ich. Irrtum. Kaum bin
ich in der Schalterhalle, raunzt die freundliche Mitarbeiterin mich
an: „Das Fahrrad müssen Sie draußen anschließen, das darf hier
nicht 'rein.“ Okay. Ich will mir die Laune nicht verderben lassen,
denke im Stillen, der Urlaub fängt nur deshalb so mies an, damit er
eine Chance hat, von Tag zu Tag besser zu werden, und schiebe mein
Fahrrad vor den Bahnhof. Dort schließe ich es neben Hunden, die
ebenfalls nicht hinein dürfen, an und schnalle sämtliches Gepäck
für zwei Wochen Radtour – hinsichtlich Gewicht wohl bedacht
beidseitig zu je gleichen Teilen am Fahrrad befestigt – ab und
schleppe es in die Schalterhalle, da ich es nicht draußen
unbeaufsichtigt lassen will, kaufe zwei Tickets nach Frankfurt/ Oder,
eins für mein Fahrrad und eins für mich, bugsiere das Gepäck
wieder zum Fahrrad und gurte es an ihm fest. Automat wäre schneller
gegangen und hätte keine Servicepauschale gekostet. Hinterher ist
man schlauer.
Der Zug ist annähernd leer. Zumindest
leer genug, dass sich der Zugbegleiter nicht die Mühe macht, meine
umständlich erworbenen Tickets wenigstens zu kontrollieren. Wer
(außer mir) fährt auch wochentags am späten Vormittag von Berlin
nach Frankfurt/ Oder? Miriam, das hast du gut geplant! Wann immer du
jenseits deiner Wohnung dasselbe tust wie andere Menschen, tue es
nicht zur selben Zeit! Handle, so das möglich ist, antizyklisch! Es
erspart Gedränge.
Ankunft in Frankfurt/ Oder. Ich will
auf den Oder-Neiße-Radweg. Da die Oder östlich der Stadt fließt
und ich Richtung Tschechien will, halte ich mich also südöstlich
und komme dem Fluss auf diese Weise tatsächlich näher und näher,
erreiche ihn aber zunächst nicht. Ein Blick auf die Karte sagt mir:
Das muss so. Der Oder-Neiße-Radweg verläuft erst ab Brieskow
tatsächlich an der Oder. Zuvor machen mir die Lossower Berge zu
schaffen, aber ich schaffe sie. Mit knapp 100 Metern sind es eher
Hügel als Berge, aber mein Fahrrad hat ein hohes Eigengewicht, keine
Gangschaltung und ist nun auch noch mit Gepäck behängt. Wenn andere
Fahrer auf ihren Ultraleicht-Bikes mit Turbo-Gangschaltungen an mir
vorbeiziehen, denke ich: Grinst nur, ich arbeite schwerer als ihr.
Als ich endlich an der Oder bin, mache
ich eine erste kurze Pause, lasse meinen Blick über das Wasser nach
Polen hinüber schweifen und überzeuge mich: Die Erde ist schön.
Nicht unbedingt alles von dem, was Menschen auf ihr und mit ihr
anrichten, aber die Erde an sich... Und an meinem Fahrrad vermisse
ich keine Gangschaltung, sondern einen Ständer, mit dem man es auch
voll beladen hinstellen kann, ohne dass es umkippt.
Der Radweg ist super! Ich fahre und
fahre und fahre, bis mich kurz hinter Aurith eine Schafherde stoppt.
Mein erster Glücksmoment dieser Tour. Die Tiere nehmen die gesamte
Breite des Weges ein und denken nicht im Traum daran, auch nur eine
Fahrradbreite Platz zu machen, geschweige denn mehr. Da links und
rechts des Weges matschige, morastige Wiesen sind, umfahre ich die
Tiere nicht, auch fahre ich sie nicht um, sondern warte geduldig, bis
der Schäfer seine Hunde schickt, sie zu holen.
Schaf müsste man sein! Anderen im Weg
stehen dürfen und sich über nichts Gedanken machen müssen. Na ja,
im Weg stehen dürfen, um jährlich seiner Wolle beraubt und nach
kurzem Leben lange vor dem natürlichen Tod geschlachtet zu werden.
Nein, ich möchte doch nicht Schaf sein.
Kurz vor Eisenhüttenstadt erreiche ich
eine Industrie-Ruine, moosbewachsen und überwuchert. Gefällt mir.
Sie ist zwar eingezäunt, aber der Zaun hat Löcher. Ich erwäge, in
ihr zu übernachten. Die Mücken indes verbieten mir das. Ihrer sind
es Milliarden (gefühlt) und sie drohen, mich zu fressen für den
Fall, dass ich bleibe, daher fliehe ich. Dennoch wird es eine Nacht
unter freiem Sternenhimmel, nachdem ich Eisenhüttenstadt, die so
genannte Planstadt, eines der schlimmsten architektonischen
Verbrechen, hinter mir gelassen habe. Der Zeltplatz von Neuzelle, den
ich mit Einbruch der Dunkelheit erreiche, ist geschlossen. <irony
on> Sommer: best geeignet, einen Zeltplatz zu schließen. </irony
off> Nur Hotels und Pensionen haben geöffnet. Ich fahre also aus
dem Ort, wickle mich am Waldrand in meinen Schlafsack und schlafe.
Ich meide Orte, an denen ich bedient
werde. Bedient man mich, führt das meist dazu, dass ich
(sprichwörtlich) bedient bin. Ich muss mich um mich selbst kümmern
dürfen. Autarkie. Ansonsten stehe ich vor den zwei Übeln, entweder
– entsprechend der gewählten Preiskategorie – zu nehmen, was
üblich ist, oder mich zu erklären und für meine
abweichenden Vorstellungen wahlweise milde belächeln – von denen,
die sich für tolerant halten – oder auslachen – von den
Intoleranten, die zu ihrer Intoleranz stehen – zu lassen. (Überdies
ist in Hotels und Gaststätten die Abhängigkeit vom Servicepersonal
zu bezahlen, auch bei Unzufriedenheit.)
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